Welche große Bedeutung dem Thema “Essen” innerhalb der Familie zukommt, merkst man spätestens dann, wenn es nicht (mehr) klappt. Perfekt also, dass sich Christine Ordnung und Georg Cadeggianini in ihrem Buch “Familie am Tisch: Für ein neues Miteinander – beim Essen und darüber hinaus” (Kösel) einmal richtig umfassend mit dem Thema befassen.
Während Väter sich meist verhältnismäßig spät mit dem Thema “Essen für den Nachwuchs” auseinandersetzen, trifft es Mütter ja bereits während der Schwangerschaft, wenn sie sich damit befassen, was sie essen sollen/ können/ dürfen. Und sobald der neue Erdenbürger auf der Welt ist, weichen diese Gedanken der Sorge ums Stillen: Was, wenn es nicht klappt? Was, wenn nicht genug Milch getrunken wird? Wie viel hat das Kind denn nun eigentlich getrunken?
Und so zieht es sich ja eigentlich nahtlos weiter bei Einführung der Beikost und Übergang zur Familienkost. Mag sein, dass es Familien gibt, bei denen all diese Punkte nie Anlass zur Sorge gegeben haben, bei uns hingegen schon, weswegen ich mich mit Spannung auf das Buch stürze.
Ordnung betont eingangs, wie wichtig es Eltern ist, dass ihre Kinder ein gesundes Verhältnis zum Essen entwickeln, dabei jedoch oft in die Falle der ewigen Ermahnungen tappen. Gefangen im Alltag mit all seinen Regeln und zeitlichen Abläufen muss jede Familie daher ihren eigenen Weg zu einer Tischkultur finden.
Essen, so Ordnung, sei das stärkste Bindemittel der Welt, da es ebenso wichtig sei wie Atmen – mit dem Unterschied, dass beim Essen noch der Aspekt der Bindung und Beziehung reinspielen. Und Essen verbinde, da es in allen Familien der Mittelpunkt sei, an dem man sich immer wieder treffe – auch dann, wenn sie Luft gerade dick ist.
Ordnung ermahnt uns, dass wir uns nicht von Tabellen mit Perzentillen gängeln und verunsichern lassen, sondern unseren Kindern vertrauen, dass diese dem Essen offen begegnen, Neues kennenlernen und zwar im ganz eigenen Tempo. Auch die Ablenkung beim Essen und die Beeinflussung durch die Eltern beim Essen sieht sie kritisch, da das Kind den Zugang zur eigenen Wahrnehmung verliert, wenn es von außen gewissermaßen mit Eindrücken übertönt wird.
Ich persönlich erkenn mich im Kapitel “Aber Probieren ist Pflicht?” so ungeschönt wieder. Kenne ich ´nur zu gut. Ja, auch ich “erspresse” Madame damit, dass sie etwas probieren soll. Sonst gibt es keinen Nachtisch, ich bin beleidigt oder Ähnliches. Immerhin scheint ich da ja kein Einzelfall zu sein (was es nicht besser macht).
Ordnung erklärt uns aus kindlicher Sicht, warum das Probieren von Neuem manchmal klappt und manchmal nicht und, warum das “Nein” des Kindes zu akzeptieren eine neue statt eine vertane Chance ist. Definitiv ein Blickwinkel, den ich auch mal einnehmen sollte. Besonders schön finde ich hier ja die Formulierung “hauseigenes Dschungelcamp” – ist natürlich etwas überzogen, aber manchmal kann es sich für ein Kind sicherlich genauso eben doch anfühlen.
Auch die Mono-Esser, also die Kinder, welche über einen gewissen Zeitraum nahezu von einem Gericht leben, betrachtet Ordnung neu: Wenn das Essen der einzige Bereich ist, in dem Kinder ein “Nein!” durchsetzen können und ihr Hoheitsrecht geltend machen wollen, dann könne man das – sofern es nicht gesundheitlich bedenklich sei – durchaus tolerieren. Das größte Problem hierbei sieht sie tatsächlich in den gesellschaftlichen Erwartungen (zB oft der Großeltern), die dann mit Vorwürfen kommen, weil so etwas früher undenkbar gewesen sei.
Generell weist die Autorin an vielen Stellen darauf hin, dass die jetzige Elterngeneration in einer ganz anderen Ess-Kultur aufgewachsen ist, in der viel mehr starre Regeln galten. Dass dies oftmals bei Oma und Opa auf Unverständnis stößt, ist also auch kein Einzelfall. (Ich bin beruhigt, wenn ich daran denke, wie oft ich mich für die zahlreichen Entscheidungen rund um das Thema Essen bei meinem Kind vor meinen Eltern rechtfertigen muss).
Mehr als zutreffend, empfinde ich die Zusammenfassung:
“Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir ein Kind haben, das mit seinen Geschmacksempfindungen umgehen kann, sie entwickeln wird. Es kann sich bei uns erlauben, auch mal Speisen ablehnen zu dürfen. Und wir können es aushalten, dass es eine Zeit lang nur Haferflocken isst oder am Abend was Süßes, Marmelade. Oder fühlen wir uns gekränkt 0der als schlechte Eltern, wenn es uns nicht gelingt, dem Kind so viel anzubieten, bis was Passendes dabei ist? (…) Stehe ich zwei Stunden in der Küche, weil ich Lust habe auf das, was ich da zubereite, oder koche ich zwei Stunden und will dann die Belohnung von meinen Kindern haben, indem sie das Gericht zumindest probieren?”
Oh, was fühle ich mich ertappt.
Danach folgen noch Exkurse zu den Themen “zu viel essen”, “Nein sagen”, “Streitkultur” und irgendwie driften wir dabei ein wenig vom Esstisch weg, der tatsächlich nur noch am Rande auftaucht. Macht aber nichts, denn interessant und lehrreich ist es trotzdem.
Für alle, die einen kleinen Rindumschlag zur Erziehung mit dem Schwerpunkt “Essen” suchen, ist das Buch eine gute Anleitung sich selbst und die Routinen der eigenen Familie einmal zu hinterfragen.
Einer der für mich essenziellen Sätze rund um den Esstisch: “Die Aufgabe der Erwachsenen ist es, aus Machtkämpfen immer wieder auszusteigen.” Werde ich mir vornehmen – und definitiv nicht nur das.