vererbte Bücherliebe

Wer dachte, dass das mit den “Phasen bzw Schüben” nur in der Baby- und Kleinkinderzeit ein Thema ist, der wird spätestens mit Einsetzen der Wackelzahnpubertät – etwa ab dem 5./6. Lebensjahr eines besseren belehrt. Wie passend, dass in dieser PHASE genau “Immer darf ich alles nie! Erste Hilfe für Familien, die die Phasen voll haben” von Matthias Jung aus dem Kösel Verlag auf dem Nachttisch landet. Da liegt es zugegebenermaßen schon eine ganze Weile, aber ein Nachteil socher Entwicklungen ist einfach, dass auch ich dann kaum zur Ruhe und zum entspannten Lesen komme. Bevor es bei uns im August dann aber mit der Schule losgeht, ist das meine Pflichtlektüre!

Ich gebe zu, ich hatte das regelmäßige googeln nach “welche Phase ist…” schon fast vergessen, denn tatsächlich gab es zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr eine recht lange Zeitspanne, in der ich nicht dauerhaft ratlos, überfordert und andauernd bei Dr. Google unterwegs war. Dann kam mit einem Schlag die Macht der Wackelzähne. Zähne wackeln bei uns zwar nach wie vor keine, dafür aber regelmäßig der Haussegen und die Laune der Bewohner 😉 
Die Ergänzung “Von Trotzphase bis Wackelzahnpubertät” weist darauf hin, dass der Konsument durchaus schon früher auf das Produkt zugreifen sollte, da aber besagte Wackelzahnpubertät ja locker bis zum neunten (bei einigen sogar bis zum elften) Lebensjahr dauern soll, dürfte ich auch noch eine ganz Weile davon profitieren. Aber befassen wir uns mal mit dem Schmöker, der uns laut Autor ein “Gedulds-Leid-Faden für kleine Kinder mit großem Willen” sein soll. 

Schlaflose Nächte, Autonomiephasen, Nein-Phase, Doch-Phase. Ja, ich erinnere mich. Teils ein bisschen zu überzogen, aber ich denke, die meisten Eltern erkennen sich wieder. Und nach dieser allgemeinen Einführung zum Dasein als Eltern widmen wir uns in Kapitel eins dem Thema “Bedürfnisorientiert” und ich danke Jung dafür, dass er gleich eine Lanze dafür schlägt, dass auch Eltern Bedürfnisse haben und diese eben nicht hinten anstellen sollen, sondern alle Familienmitglieder gleichwertig sind und die Eltern trotz allem die Fürsorge und das letzte Wort haben. Besonders schön für mich hier die Aussage: “Ich bin nicht Disney-Land”. Und die Essenz des Kapitels: Wir sind nicht perfekt, wir müssen es nicht sein. Wir müssen authentisch und nahbar sein, unserem Kind mit Liebe und Verständnis begegnen und versuchen, auf eine grundsätzlich positive innere Einstellung zu achten. Klingt doch machbar, oder?

Danach dreht sich alles um die Autonomiephase und Jung erklärt uns anhand praktischer Beispiele, warum Kinder wütend werden, verzweifeln oder Dinge anders bewerten und, warum wir uns viel weniger um die Außenwirkung sorgen sollten. Und dann gibt er uns (ebenso wie im vorherigen Kapitel) eine Liste an die Hand, was wir beachten müssen, wenn das Kind wütend ist. Das sind einerseits einfach Dinge, die wir uns immer wieder bewusst machen müssen wie “Wut ist wichtig” und “unser Kind soll lernen, welche Gefühle es gerade hat, und es soll lernen, diese zu regulieren”, aber auch Handlungstipps wie “Gefühlsausbrüche nicht mit “Das ist doch nicht so schlimm” abtun”. Gut gefällt mir, dass er auch einen intensiven Blick auf die elterliche Wut wirft, denn wie oft werde ich selbst wütend, wenn das Kind sauer ist und bin dann auch für sie keine Hilfe mehr. 

Es folgen Kapitel zu Grenzen, Konsequenzen, Kommunikation, Loben, Schüchternheit, Trödeln, Essen, Medien und vielem mehr – und ich muss sagen, dass ich aus jedem Kapitel etwas für mich ziehen kann. Manchmal ist mir der Stil ein bisschen zu gewollt lustig, zu überspitzt, aber alles in allem hat das Buch einen tollen Lesefluss und vor allem sehr viel Wahres. Jung schafft es mit einem Augenzwinkern unsere eigenen Schwächen aufzudecken, uns dabei zu helfen, uns selbst und unsere Motivationen zu hinterfragen und Wege für uns zu finden, auch mal fünf gerade sein zu lassen. 
Für alle, die sich ein bisschen mehr Leichtigkeit in der Erziehung wünschen und eine kleine Einführung in die Seelenwelt ihrer Kinder ist dies ein dankbares Buch. Denn wie erklärt er so schön: Für Eltern und Kinder ist ist jede Erziehung das erste Mal, weil jede Beziehung individuell ist und wir an und mit ihr gemeinsam wachsen.